„Was handeln wir uns da ein?“ – Abteilungssitzung zu TTIP und CETA

Veröffentlicht am 30.10.2014 in Wirtschaft

Volles Haus bei der Diskussion über TTIP und CETA

Die Abteilungssitzung am 14. Oktober zeigte, dass die geplanten Freihandelsabkommen TTIP und CETA viele Menschen sehr beschäftigen, auch in der SPD. Etwa 30 Mitglieder, darunter auch Gäste aus anderen Pankower Abteilungen, waren der Einladung gefolgt und nutzten die Möglichkeit, mit den Bundestagsabgeordneten Claudia Tausend und Klaus Mindrup über die Abkommen zu diskutieren.

Im ersten Teil des Abends informierten die zwei Abgeordneten über den historischen Hintergrund der Freihandelsabkommen, über den Stand der Verhandlungen zu TTIP1 und CETA2 sowie über die Entwicklungen der öffentlichen Debatte. Claudia Tausend ist im Europaausschuss Berichterstatterin für TTIP. Klaus Mindrup berichtete von seiner Delegationsreise als Mitglied im Ausschuss für Umwelt und Naturschutz für Treffen mit Initiativen und Organisationen, die in den USA und in Kanada gegen TTIP und CETA protestieren. Im zweiten Teil des Abends wurde bei Nachfragen und Diskussionen deutlich, dass auch die SPD-Basis in Pankow das Thema sehr ernst nimmt und dass die geplanten Abkommen die SPD noch lange beschäftigen dürften.

Hintergrund

Die EU plant, Freihandelsabkommen mit den USA (TTIP) und Kanada (CETA) abzuschließen. Der EU-weite Widerstand gegen diese Pläne durch Parteien, Gewerkschaften, Nichtregierungsorganisationen (NGOs), Umweltschutz- und Verbraucherschutzorganisationen ist sehr breit und heterogen. Zunächst drehte sich die öffentliche Debatte vor allem um in Chlor gewaschenes Hühnerfleisch, das im Rahmen von TTIP aus den USA importiert werden könnte. Der Abbau von verschiedenen Sozial-, Verbraucherschutz- und Umweltstandards (sog. nichttarifäre Handelshemmnisse) wird nach wie vor scharf kritisiert. Immer mehr steht aber auch der Investitionsschutz im Mittelpunkt der Kritik. Mit dessen Instrument ISDS3 hätten ausländische Investoren die Möglichkeit, Staaten vor Schiedsgerichten zu verklagen, wenn eine geänderte Rechtslage den Profit ihrer Investitionen schmälern könnte. Beispiele für bereits laufende ISDS-Schiedsverfahren (auf Grundlage anderer internationaler Abkommen) sind die Klage des Tabakkonzerns Philip Morris gegen Uruguay wegen der dort vorgeschrieben Gesundheitswarnungen auf Zigarettenpackungen (2 Mrd. US-Dollar) und die Klage von Vattenfall gegen Deutschland wegen des Atomausstieges (4,7 Mrd. Euro). Vor allem Deutschland hat in der Vergangenheit viele Investitionsschutz-Abkommen mit Entwicklungsländern geschlossen, um die Investitionen von deutschen Unternehmen in diesen Ländern vor zu instabilen politischen und rechtlichen Verhältnissen zu schützen. Auch die USA vereinbarten nach 1989 Regelungen mit vielen osteuropäischen Ländern, um US-Investoren zu schützen.

Als Reaktion auf die Finanz- und Wirtschaftskrise seit 2008 wurden laufende Verhandlungen über Abkommen zwischen der EU und den USA wieder aufgegriffen. Diese Abkommen sollen nicht nur den Handel und Auslandsinvestitionen für europäische und US-Unternehmen erleichtern und dadurch ein Wirtschaftswachstum erzeugen. Gleichzeitig sollen sie auch Standards festlegen für zukünftige Abkommen mit asiatischen Ländern, zum Beispiel mit China. Die EU und die USA verhandeln zeitgleich Abkommen mit vielen anderen Ländern, viele Regelungen bei TTIP hätten dafür Vorbildcharakter.

Die Verhandlungen führt auf Seiten der EU die EU-Kommission. Der genaue Gegenstand und Zwischenergebnisse der Verhandlungen wurden und werden nicht veröffentlicht. Auch diese Geheimhaltung dürfte dazu beitragen, dass die Kritik an TTIP und CETA sehr viele Menschen überzeugt. Mittlerweile hat die EU-Kommission erste Schritte in Richtung transparenter Verhandlungen unternommen, den Widerstand gegen die Verhandlungen hat das aber nicht abgeschwächt. Die Verhandlungen zu CETA wurden Ende September 2014 für abgeschlossen erklärt, der Vertragstext wurde veröffentlicht. Noch ist unklar, ob nur das Europäische Parlament und der Europäische Rat oder auch nationale Parlamente über die Abkommen abstimmen werden können. Die Abstimmungen über CETA könnten Ende 2015 beginnen, die Abstimmungen über TTIP dürften etwa 2017 erfolgen.

Die SPD-Fraktion im Bundestag hat begonnen, erste rote Linien zu ziehen, die durch TTIP und CETA nicht überschritten werden dürfen. Bernd Lange, Handelspolitischer Sprecher der Fraktion der Sozialdemokraten im Europäischen Parlament, hat die ISDS-Verfahren als K.O.-Kriterium formuliert, das eine Zustimmung zu den Abkommen ausschließt. Ein von Sigmar Gabriel mit dem DGB ausgehandeltes Positionspapier, das ISDS-Schiedsgerichte sowie Einschränkungen bei Arbeitnehmerrechten, Verbraucherschutz-, Sozial- und Umweltstandards ablehnt, wurde Ende September vom SPD-Parteikonvent mit einer breiten Mehrheit bestätigt (200 Delegierte, sieben Nein-Stimmen und drei Enthaltungen). Während CDU und CSU sich weiterhin für die Abkommen aussprechen und Angela Merkel sogar deutlicher als in der Vergangenheit für die Vorteile von TTIP und CETA wirbt, werden die Bedenken vieler SPD-Mitglieder offenbar immer größer.

Besonders starker Widerstand gegen die Freihandelsabkommen kommt aus Deutschland, Österreich und Frankreich. Es gibt aber auch entschiedene Unterstützer-Länder. Zum Beispiel sprechen sich die Regierungen von Großbritannien, Dänemark, Schweden und mehreren osteuropäischen Ländern für TTIP und CETA aus. Anders als mitunter in der öffentlichen Debatte dargestellt gibt es auch in den USA und in Kanada großen Widerstand gegen die Abkommen. Die Republikaner sind viel weniger überzeugt von den Verhandlungen als die Demokraten. Neue politische Mehrheiten in den USA schon nach den Kongresswahlen am 4.11. könnten den Verlauf der Verhandlungen noch beeinflussen.

Kritik

Viele Unternehmen und Branchen dürften von TTIP und CETA profitieren. Auch vielen deutschen Unternehmen, die auf den Weltmarkt  ausgerichtet sind, dürften die Abkommen nützen. Ein Angleichen bestimmter Normen ist mit Sicherheit im Interesse der Verbraucher. Und je nach Studie und Rechenmodell sind die prognostizierten Wohlstandsgewinne durch die Abkommen eher gering oder aber beeindruckend hoch. Viel entscheidender aber als die Frage nach den Vorteilen, so Claudia Tausend und Klaus Mindrup, ist die Frage, welcher Preis für diese Vorteile ausgehandelt und am Ende zu zahlen sein wird.

In der EU und in Deutschland stark subventionierte Unternehmen und Branchen dürften unter TTIP und CETA leiden, zum Beispiel kleine Agrarbetriebe. Laut Verhandlungsmandat der EU-Kommission sind die in der EU geltenden Sozial-, Umwelt- und Verbraucherschutzstandards nicht verhandelbar. Dennoch könne man nicht ausschließen, so Claudia Tausend, dass die Freihandelsabkommen eine Dynamik auslösen, durch die auch diese Bereich angreifbar werden.

Und besonders weitreichende negative Folgen dürften die Investitionsschutz-Bestimmungen haben. In den letzten Jahren sind die Fallzahlen und die Streitsummen von ISDS-Schiedsverfahren stark angestiegen. Immer mehr wird der Investorenschutz als Anlageinstrument begriffen, so Klaus Mindrup: Eine längst auf ISDS spezialisierte Branche von Investoren und Anwälten hat erkannt, dass Schiedsverfahren ein Milliardengeschäft sein können.  Und: Die geplanten Investorenschutz-Bestimmungen können zu einer Paralleljustiz führen und geben Konzernen die Möglichkeit, demokratische Entscheidungen massiv zu beeinflussen, zu erschweren und zu verhindern. Die Schiedsverfahren finden unter Ausschluss der Öffentlichkeit vor Gerichten mit privaten Anwälten und Richtern statt, Berufungen sind nicht möglich. Je wahrscheinlicher ISDS-Schiedsverfahren und Strafzahlungen an Konzerne sind, desto eher dürften Regierungen und Parlamente von Vornherein von der Verabschiedung bestimmter Gesetzen absehen, etwa von Warnhinweisen auf Zigaretten oder von einem Atomausstieg. Mehrere aktuelle Beispiele zeigen, dass die von Investorenschutz-Bestimmungen ausgelösten Dynamiken nicht von einzelnen Staaten aufgehalten werden können. Eine Verabschiedung von TTIP und CETA mit den geplanten ISDS-Bestimmungen wäre „grob fahrlässig“, so Klaus Mindrup.

Das CETA-Abkommen wird oft fälschlicherweise als „Blaupause“ für die TTIP-Inhalte bezeichnet, so Claudia Tausend: Bereits nach der Verabschiedung von CETA könnten auch US-Konzerne mit Tochterunternehmen in Kanada auf der Grundlage von CETA agieren und zum Beispiel europäische Staaten vor Schiedsgerichten verklagen.

Diskussion

Bei anschließenden Nachfragen und in einer ausführlichen Diskussion wurde deutlich, dass viele der anwesenden Gäste die Bedenken des Parteikonvents und der beiden Referenten teilen. Mehrfach wurde angesprochen, dass die Kritik vieler Menschen an TTIP und CETA auch ein besorgniserregendes und tiefes Misstrauen gegenüber der Politik ausdrückt: TTIP und CETA sind mittlerweile eine Projektionsfläche geworden für sehr verschiedene Ängste vor zu mächtigen wirtschaftlichen Eliten und vor zu schwachen Staaten und Demokratien, so mehrere Wortmeldungen, auch in Bereichen, die von den Abkommen nicht betroffen sind. Die Geheimhaltung der Verhandlungen dürfte dieses Misstrauen bestätigen. Mehrere Themen konnten nur andiskutiert werden, etwa die Frage nach der Kündbarkeit der Abkommen und die Folgen der beiden Abkommen für Kommunen, die öffentliche Daseinsvorsorgen rekommunalisieren. Der Abend machte deutlich: Die SPD muss TTIP und CETA extrem ernst nehmen. Über die geplanten Freihandelsabkommen ist noch viel und lange zu sprechen.

 

1 TTIP kurz für Transatlantic Trade and Investment Partnership, also Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft

2 CETA kurz für Comprehensive Economic and Trade Agreement, also Umfassendes Wirtschafts- und Handelsabkommen

3 ISDS kurz für Investor-State Dispute Settlement, also Investoren-Staat Disputbeilegung

 

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