SIWA: Investitionsprogramm für die öffentliche Infrastruktur in Berlin

Veröffentlicht am 26.02.2015 in Finanzen

Das Abgeordnetenhaus wird Anfang April den Weg frei machen, über 500 Millionen Euro zusätzlich in Berlin zu investieren; der Senat plant, am 3. März 2015 dazu einen Nachtragshaushalt vorzulegen. Möglich macht diese zusätzlichen Investitionen das "Sondervermögen Infrastruktur der wachsenden Stadt" (SIWA), welches im Abgeordnetenhaus Ende 2014 durch Landesgesetz auf den Weg gebracht wurde. Sicherlich kommt es dann darauf an, den politischen Gedanken dahinter auch zu vollziehen. Das wird die Verwaltungen vor Herausforderungen stellen, die Berlin aber bewältigen kann. Vor einiger Zeit haben wir 600 Millionen Euro aus dem sog. K II investiert, dem Konjunkturpaket von Bund und Ländern. Eine Steuerungsgruppe, beschleunigte Vergaben und echte konstruktive Zusammenarbeit aller Beteiligten haben das professionell geleistet.

Die Konsolidierung zwischen 2001 und 2011

In den Jahren der deutschen Teilung kam es u.a. zu 500 Unternehmensverlagerungen von Berlin nach Westdeutschland, darunter z.B. die Deutsche Bank, die Allianz, Siemens und VW. Die geteilte Stadt wurde nach dieser Zäsur durch Subventionen in beiden Hälften staatlich gefördert.

Berlin hatte in der letzten Dekade seine Haushalts- und Finanzpolitik scharf umgestellt, nachdem in beiden Stadthälften das Ende der Subventionspolitik von Ost und West große Schwierigkeiten bereitete und durch eine sprunghafte Verschuldung kompensiert worden war. Da die Zuweisungen an die Stadt abrupt und massiv zurückgingen, waren die Herausforderungen so groß, wie die Leistungen und der Verzicht; Privatisierungen, Wohnungsbauförderung, Personalkosten, Investitionen und ein “Sparen bis es quietscht“ wurden adressiert.

Berlin hat in den Jahren nach 2001 seine Ausgaben bei der Wohnungsbauförderung um 76,2 Prozent, bei den Investitionen um 21,7 Prozent und beim Personal um 10,6 Prozent gesenkt. Zugleich stiegen die Ausgaben für Kitas um 29,1 Prozent, für die Wissenschaft um 19,0 Prozent, für die Kultur um 16,4 Prozent, für Schulen um 15,5 Prozent und für die soziale Sicherung um 11,6 Prozent. In diesen Jahren stiegen die Gesamtausgaben im Durchschnitt der Länder um 20,6 Prozent, in Hessen und im Saarland um jeweils 32,2 Prozent, in Rheinland-Pfalz um 28 Prozent, in Nordrhein-Westfalen um 24,1 Prozent und in Bayern um 23,4 Prozent; in Berlin betrug der Gesamtausgabenzuwachs 5,3 Prozent.

Wesentliche Einnahmen für Berlin brachte der sog. Soli, der Berlin 2005 noch 2 Milliarden Euro zuführte, im Jahre 2011 rund 1,5 Milliarden Euro betrug, in diesem Jahr bei 963 Millionen Euro für Berlin liegt aber bis zum Jahr 2020 von Gesetzes wegen ganz wegfällt. Hinzu traten Milliardeneinnahmen aus Privatisierungen.
 

Die neue Haushaltsstrategie

Ein Staatshaushalt kennt drei wesentliche Stellgrößen, die Staatsausgaben, die Staatseinnahmen und als deren Teil die Kreditfinanzierungen.

Inzwischen gilt politisch und alsbald auch juristisch – ob volkswirtschaftlich sinnvoll oder nicht – die Verfassungsrealität der grundgesetzlichen „Schuldenbremse“, also das grundsätzliche Verbot, öffentliche Haushalte durch Kredite zu finanzieren. Es wird Berlin also grundsätzlich nicht mehr möglich sein, Haushalslöcher durch Darlehen zu stopfen.

Zugleich werden die Ausgaben des Landes weiter steigen. Die weiter oben genannten vier zentralen Stellschrauben bei der Ausgabenbegrenzung der letzten Jahre in Berlin – Wohnungsbauförderung, Personalkosten, Investitionen und Privatisierungen – sind alle unter „politischem Druck“. Das Quietschen wegen des Sparens hören wir derweil alle. Die gegriffene Steuerungszahl von 100.000 Vollzeitstellen ist zwar gemessen an einem statistischen Vergleich mit Hamburg, aber weder politisch, noch mit Blick auf die Lebenswirklichkeit in Berlin, plausibel. Durch unsere gesetzliche Intervention schließt sich zudem die Besoldungslücke im öffentlichen Dienst. Das führt absehbar zu Mehrausgaben von etwa 1 Milliarde Euro, wohlgemerkt pro Jahr.

Das derzeitige Zinsniveau erspart gerade einer hochverschuldeten Stadt Ausgaben im Milliardenbereich. Gemessen am durchschnittlichen Zinsniveau der letzten Jahrzehnte würden unsere Zinsausgaben 1 weitere Milliarde Euro mehr pro Jahr betragen, als wir derzeit aufwenden müssen.

Der Länderfinanzausgleich, aus dem Berlin 3,2 Milliarden Euro pro Jahr erhält, ist von den sog. Geberländern beim Bundesverfassungsgericht beklagt. Dort ist ein denkbares Ventil die sog. Stadt-Staaten-Wertung. Wegen der erhöhten Leistungen der Großstädte (soziale und kulturelle Infrastruktur, Ausbildung für Studenten etc. im Gesamtinteresse der Bundesrepublik) wird ein Einwohner Berlins bei der Mittelverteilung nicht mit 1 sondern mit 1,35 „bewertet“. Diese bundesweite Praxis (im kommunalen Systems Bayerns wird München z.B. mit 200% bewertet) greift niemand dem Grunde nach an. Würde sich jedoch auch nur der Höhe nach was ändern, müsste Berlin pro Prozentpunkt mit 100 Millionen Euro weniger auskommen, pro Jahr. Diskutiert werden hier bis zu 10 Prozentpunkten, also 1 weitere Milliarde Euro weniger.

Schließlich die sog. Wachsende Stadt: Es trifft zu, dass je statistischem Mehreinwohner eine Mehrzuweisung von über 2.000 Euro an Berlin erfolgt. Allerdings wachsen auch die Mehrausgaben, z.B. für Bildung und soziale Infrastruktur. Obwohl unser sog. BIP (Bruttoinlandsprodukt) in Berlin vergleichsweise überdurchschnittlich steigt, fällt es bei einer Pro-Kopf-Betrachtung. Und so fällt der derzeit gemessene Nettoeffekt der „wachsenden Stadt“ mit etwa 160 Millionen Euro in der strategischen Finanzpolitik nur geringfügig ins Gewicht.

Ich will es klar sagen: Berlin ist nach wie vor ein struktureller Sanierungsfall – aber die Sanierungsstrategie hat sich geändert. Alle Maßnahmen der Vergangenheit waren – notwendigerweise – auf Kurzfristigkeit ausgelegt, sie mussten schnell wirken. In ihrer Komplexität beinhalteten sie allerdings eine große strategische Leistung, den sog. Mentalitätswechsel, also das – wenn auch erzwungene – Umsteuern vom Subventionsdenken zur Eigenleistung.

Wer angesichts der virulenten Haushaltsrisiken Ausgabenkürzungen vermeiden will, muss die Einnahmeseite des Landeshaushaltes fokussieren und zudem strategisch ausrichten. Kurzfristige Privatisierungserlöse dürfen finanzpolitisch keine strategische Rolle mehr spielen. Dies zeigt die ehemalige Berliner Immobilienholding BIH eindrucksvoll. Die BIH stand 2011 zur Privatisierung an und blieb nach politischer Intervention Landeseigentum; heute baut sie aus ihrem Eigenkapital 2.500 Studentenwohnungen, ein Großteil davon wird in Pankow errichtet werden. Die Landesbeteiligungen Berlins sind insgesamt bereits neu aufgestellt und erzielten 2013 einen Überschuss von 455 Millionen Euro. Es wurden 1,7 Milliarden Euro investiert, das Eigenkapital erhöhte sich gegenüber dem Vorjahr um 450 Millionen Euro. In diesen Zusammenhang fällt auch die Rekommunalisierungspolitik. Die avisierten Unternehmen haben alle positive Betriebsergebnisse. Bei Wasser waren es rund 400 Millionen Euro jährlich, wir haben zurückgekauft, aus Eigenkapital, ohne Einsatz von Haushaltsmitteln und trotzdem zweimal die Wasserpreise gesenkt. Bei den Stromnetzen reden wir auch von einem dreistelligen Millionenbetrag pro Jahr.

Das größte Haushaltsrisiko für Berlin ist jedoch der Bund. Wir reden gerne und dankbar über die Entlastungen der Länderhaushalte, z.B. zuletzt bei den rund 60 Millionen Euro nach dem BAföG. Allerdings bleibt kaum beachtet, dass Bundesgesetze zu Steuerausfällen in den Ländern führen. Berlin verlor insoweit 2010 840 Millionen Euro, 2011 1 Milliarde Euro, 2012 940 Millionen Euro, 2013 920 Millionen Euro, 2014 860 Millionen Euro und 2015 werden es 830 Millionen Euro sein.

Zur nachhaltigen Haushaltsstrategie zählen deshalb auch maßvolle Steueranpassungen; zu nennen sind z.B. die Erträge aus der Grunderwerbssteuer, aus Wettspielen und die sog. Citytax mit Mehreinnahmen von insgesamt mehreren hundert Millionen Euro pro Jahr. Es ist übrigens nicht ersichtlich, dass die Anhebungen der Grunderwerbssteuer den Berliner Immobilienmarkt haben „zusammenbrechen“ lassen und auch die Citytax wird dem Tourismus keinen Abbruch tun. Ob sich Berlin – wie seit 1999 unverändert – den bundesweit geringsten Gewerbesteuerhebesatz aller Großstädte von 410% wird leisten können, darf bezweifelt werden. Wir liegen hier 40 Punkte unter den Brandenburger Höchstsätzen und sogar 60 Punkte unter Hamburg und reden über ein derzeitiges Steueraufkommen von weit über einer Milliarde Euro in Berlin.


Das SIWA

Die Änderung der finanzpolitischen Strategie und der Umstand, dass Deutschlands Wirtschaft relativ stabil ist, die Steuereinnahmen wachsen sowie die Zinsausgaben auf historisch niedrigem Niveau liegen, führten zur Erwirtschaftung hoher Haushaltsüberschüsse. Fast 900 Millionen Euro wurden in Berlin 2014 im Jahr erzielt. Europa bekämpft eine drohende Deflation mit der Hereinnahme von befangenen Staatsanleihen für über eine Billion Euro. Diese Maßnahmen gelten einerseits finanzpolitisch und volkswirtschaftlich als „final“ und werden andererseits üblicherweise durch erhöhte öffentliche Investitionen flankiert, um das Nachfrageziel zu adressieren.

Zugleich befunden wir in Berlin eine so geringe unmittelbare öffentliche Investitionsquote, dass wir auf strukturellen Verschleiß fahren; wir investieren deutlich weniger in die öffentliche Infrastruktur, als statistisch werterhaltend erforderlich wäre.

Die bisherigen Ausführungen lassen erkennen, dass die derzeitigen Haushaltsüberschüsse nicht nur nicht strukturell sind, also nicht dauerhaft erwartbar. Vielmehr bestehen derzeit aus Sicht des Landeshaushaltsgesetzgebers signifikante Haushaltsrisiken, die aus Landessicht nicht hinreichend steuerbar sind und zugleich virulent erscheinen. Aus diesem Grunde scheidet eine konsumtive Veranschlagung der derzeitigen Überschüsse aus; eine investive Veranschlagung allerdings gerade angezeigt.

So war es folgerichtig, dass der Fraktionsvorsitzende Raed Saleh – dieser Einschätzung folgend – im September 2013 beauftragte, einen gesetzes-verbindlichen Vorschlag zum Umgang mit Haushaltsüberschüssen zu entwickeln; das SIWA nahm mit seinem ersten Entwurf vom 5. Oktober 2013 Gestalt an. Es sieht – bundesweit einmalig – eine gesetzliche Schuldentilgung mit der Hälfte der Jahresüberschüsse vor. Die andere Hälfte wird investiv gebunden und dem SIWA zugeführt. Diese zusätzlichen Gelder im SIWA sind vom übrigen Landeshaushalt getrennt und unterliegen nicht dessen Jährlichkeits-Prinzip, stehen also dauerhaft zur Verfügung.
 

Neue Investitionen für Berlin

Der Senat hat vorgeschlagen, 438 Millionen Euro aus dem SIWA für zusätzliche Investitionen einzusetzen. Dieser Vorschlag passierte die Haushaltspolitiker der Koalitionen mit einer Ausnahme: Die bezirklichen Investitionen wurden um 58 Millionen Euro auf 120 Millionen Euro verstärkt.

Im Einzelnen:

30 Mio. Euro für Wohnungsbau; 55 Mio. Euro für diverse Krankenhäuser; 22 Mio. Euro für diverse Polizeistandorte; 9 Mio. Euro Feuerwachen; 53 Mio. Euro Charité; 40 Mio. Euro Flüchtlingsunterkünfte; 120 Mio. Euro Bezirke (70% Schule); 18 Mio. Euro modulare Schulbauten; 10 Mio. Euro Kita; 16 Mio. Euro elektronische Akte Justiz; 58 Mio. Euro U-Bahn-Züge; 5 Mio. Euro Sporthalle Olympiapark; 60 Mio. Euro Multifunktionsbäder (je 30 Mio. Standorte Mariendorf und Pankow).

Aus den BAföG-Mitteln des Bundes fließen zusätzlich 32 Mio. Euro in 74 Einzelobjekte der Berliner Hochschulen, u.a. in das Pankower BAT der HfS.
 

Multifunktionsbad Pankow

Vor über zehn Jahren hat Berlin zahlreiche sanierungsbedürftige Bäder vom Netz  genommen. Seitdem gibt es in Pankow eine deutliche Unterversorgung mit für die Allgemeinheit öffentlich nutzbaren Schwimmhallen. Die Schwimmhalle am Standort Wolfshagener Straße ist geschlossen und dürfte als DDR-Zweckbau einen Sanierungsbedarf in zweistelliger Millionenhöhe haben. Tausende Pankowerinnen und Pankower unterstützen seit Jahren einen Förderverein zu deren Wiederinbetriebnahme.

Zugleich haben wir in anderen Sanierungsfällen folgende Beobachtung machen müssen: Die verschiedenen Nutzergruppen waren nach der Sanierung alle unzufrieden, das Wasser zu kalt oder zu warm, zu flach oder zu tief. Die Schließung während der Sanierung dauerte Jahre. Obwohl zweistellige Millionenbeträge eingesetzt wurden, war die Nutzung danach eingeschränkt, mal fehlten die Sauna, mal das Bistro, mal sogar beides.

Nun soll dort ein neues Multifunktionsbad entstehen, mit Becken für sportliches Schwimmen, Lehrschwimmen, Sauna, Rutsche, Außenbereich mit Becken, Familienbecken nebst Wellenanlage und Gastronomie. Die Standortauswahl trägt der Unterversorgung im einwohnerreichsten Bezirk Rechnung und dem Umstand, dass hier ein Kombibad errichtet wird. Wasseraufbereitung, sonstige Technik, Kassenbereich Sicherheit und berlinweit einmalig große Außenaufenthaltsflächen lassen so testen, ob sich ein solcher Neubau besser eignet, die verschiedenen Nutzerinteressen wirtschaftlich abzubilden.

Für Pankow ist das ein riesen Erfolg; die Ablehnung des Schwimmhallenneubaus in Alt-Pankow durch die oppositionellen Grünen und Linken ist nicht nachvollziehbar.

 

Homepage Torsten Schneider, Mitglied des Abgeordnetenhauses von Berlin

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