Ein Schritt zur Gleichberechtigung: das Ende des Kreidestrichs 1908

Veröffentlicht am 13.04.2017 in Frauen

Einladung zum Diskussionsabend für Frauen aus Berlin.

Was heute die gläserne Decke für Frauen in der Wirtschaft ist, war in Preußen und Berlin für ihre Geschlechtsgenossinnen in der Politik der Kreidestrich und der verschwand erst mit Inkrafttreten des Reichsvereinsgesetzes ab dem 15.05.1908. Bis dahin war die Beteiligung von „Frauenzimmern“ an politischen Versammlungen, der Gründung von Vereinigungen oder gar die Mitgliedschaft in einer Partei verwehrt, vom Wahlrecht ganz zu schweigen. Das führte zu einer Notlösung, die von der preußischen Polizei bei guter Laune toleriert wurde. Bei Versammlungen wurde ein Kreidestrich gezogen, vor dem Strich die Männer, dahinter die Frauen. Letztere konnten so wenigstens der Versammlung lauschen, an der sie nicht teilnehmen durften – Applaus, Zwischenrufe oder Fragen waren aber strikt untersagt.

Gefallen ist für Frauen Neugründungen von Vereinen. Erst 1885 wurde der Verein zur Vertretung der preußische „Kreidestrich“ erst 1908, als der Reichstag das Recht der Versammlungs- und Koalitionsfreiheit auf Frauen ausdehnte. Die Verwirklichung ihrer vollen politischen Rechte dauerte aber noch bis zur Wahl der ersten Nationalversammlung im Januar 1919.

Ohne Druck kam dieser Schritt aber nicht zustande, sondern war das Ergebnis eines langen politischen Kampfes. Fünfzig Jahre vorher gründeten sich im Reich die ersten Frauenvereine. Damals war Sachsen noch fortschrittlich, vor allem durch die vergleichsweise starke Industrialisierung und dem damit steigenden Anteil von Frauen im Arbeitsprozess. Leipzig war Vorreiter. Die „Internationale Gewerksgenossenschaft der Manufaktur-, Fabrik- und Handarbeiter beiderlei Geschlechts“ machte 1869 den ersten Schritt. Die Reichshauptstadt folgte im Jahr darauf mit dem teilweise bürgerlichen Verein zur „Fortbildung und geistigen Anregung der Arbeiterfrauen“. Stärker in der Arbeiterinnenbewegung veranktert war der Arbeiterfrauen- und Mädchenverein. Dieser hatte aber keine lange Lebensdauer, bereits 1877 wurde er verboten. Politik blieb für Frauen tabu.

Das Sozialistengesetz erschwerte zusätzlich zum Verbot politischer Betätigungder Interessen der Arbeiterinnen gegründet. Das Aufgabenspektrum war vielfältig: Unterstützung bei Lohnstreitigkeiten wurde organisiert, Bildungsveranstaltungen angeboten und eine Bibliothek aufgebaut. Socialising gab es auch. Die „Pflege der Kollegialität durch gesellige Zusammenkünfte“ war Vereinsziel. Der Verein war bis zu seinem Verbot 1886 so erfolgreich, dass ein Nordverein der Arbeiterinnen gegründet wurde, der das heutige Prenzlauer Berg, Teile des Wedding und Friedrichshains umfasste. Gestolpert war er über die Forderung nach Frauenwahlrecht, denn politisches war Frauen immer noch untersagt. In Nürnberg wurde ein vergleichbares Verbot begründet mit der schönen Formulierung: „Will der Verein seinen Zweck wirklich erfüllen, so kann dies unmöglich geschehen, ohne das öffentliche Interesse in Mitleidenschaft zu ziehen“

Die SPD tat sich am Anfang ebenfalls schwer mit der Frauenfrage. Arbeiterinnen wurden als „Schmutzkonkurrenz“ gesehen, die durch niedrigere Löhne Männer verdrängten. Das Recht zu arbeiten wurde den Frauen teils abgesprochen. Clara Zetkin fand hierfür aber deutliche Worte. Ein Verbot der Erwerbsarbeit für Frauen bedeute „eine ganze Hälfte des Menschengeschlechts durch wirtschaftliche Abhängigkeit zu politischer und sozialer Sklaverei [zu] verurteilen.“ Die Fakten sprachen sowieso gegen die zunehmend theoretische Diskussion. Bereits 1882 waren 5,5 Mio. Frauen berufstätig.

Arbeiterinnen. Gemälde von Hans Baluschek, 1900

Auch das Wahlrecht war parteiintern anfangs umstritten. Auf dem Gothaer Vereinigungsparteitag der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschland (SAPD) wurde das Wahlrecht für Frauen nicht in das Programm aufgenommen. Die Entscheidung fiel mit 62 gegen 55 Stimmen. Ins Zeug für das Frauenwahlrecht hatte sich August Bebel geworfen, der später das sozialdemokratische Standardwerk „Die Frau und der Sozialismus“ verfasste. Sein Gegenspieler war Wilhelm Hasselmann, der sich später in Richtung des Sozialanarchismus entwickelte, damals aber den Frauen die notwendige Bildung für die Ausübung des Wahlrechtes absprach. Dieser Fehler wurde auf dem Erfurter Parteitag 1891 korrigiert. In den Forderungen der Partei hieß es kurz und knapp:

1. Allgemeines, gleiches, direktes Wahl- und Stimmrecht mit geheimer Stimmabgabe aller über 20 Jahre alten Reichsangehörigen ohne Unterschied des Geschlechts für alle Wahlen und Abstimmungen

4. Abschaffung aller Gesetze, welche die Frau in öffentlich- und privatrechtlicher Beziehung gegenüber dem Manne benachteiligen.

Der Partei beitreten durften Frauen bereits seit 1890, allerdings nur in deutschen Ländern mit liberalen Vereins- und Koalitionsrecht als Preußen. In Berlin behalf man sich mit einem Kniff. Während des Sozialistengesetzes hatten Vertrauensmänner die illegale Parteistruktur ergänzt. In Wahlkampfzeiten aktivierten sie Mitglieder und Sympathisanten, ohne dass dafür eine formale Struktur bestehen musste. Die Polizei war dadurch in den Möglichkeiten der Überwachung stark eingeschränkt. Das System wurde als Sicherheit auch nach dem Fall des Sozialistengesetzes neben der nun legalen Vereinsstruktur beibehalten. Da lag es nahe, es auch auf die Frauen auszudehnen, die immer noch keine Vereine gründen durften. Dementsprechend wurde die Position des Vertrauensmannes von der Partei 1892 in Vertrauensperson umbenannt, eine frühe Form gendergerechter Sprache.

Neben den politischen Aufgaben fiel den weiblichen Vertrauenspersonen auch die Erfassung der Lage der Arbeiterinnen zu. Die Formen von Ausbeutung und Unterdrückung wurden 1904 zum Beispiel für Berlin in der Broschüre „Aus der Berliner Heimarbeit“ dargestellt. Ausgeprägt war diese Produktionsweise vor allem in der Textilindustrie und bot den Vorarbeitern verschiedenste Formen der Ausbeutung, dem die scheinselbstständigen Näherinnen im Wesentlich hilflos ausgeliefert waren. Bemerkbar machte sich das im Stundenlohn: 25-30 Pfennig gab es in der Fabrik, 5-15 für Heimarbeit.

Gegen diese Formen der Ausbeutung half man so gut es ging durch gegenseitige Unterstützung und die Offenlegung der Missstände. Neben diesen materiellen Aufgaben stand immer die Bildungsarbeit für Frauen. Besonders erfolgreich waren die Frauenleseabende mit marxistischer und feministischer Literatur, auch bürgerlicher. Begonnen wurde damit im Reichstagswahlkreis, der auch den Prenzlauer Berg umfasste und war ein Erfolgsmodell für das ganze Reich.

Die Zeit der parallelen Strukturen und Tricksereien gegen das preußische Versammlungsrecht endete dann 1908. Das Reichsvereinsgesetz wurde am 8.4. 1908 verabschiedet und trat am 15. Mai in Kraft. Für einige Länder bedeutete es keine große Änderung da, weil sie bereits über vergleichsweise liberale Vereinsgesetze verfügten, in süddeutschen Ländern verschlechterte sich sogar die Lage. Für Preußen stellte es die Dinge aber auf den Kopf. Frauen konnten nun Vereine gründen, politische Versammlungen besuchen und sogar Parteien beitreten.

Der SPD-Vorstand verabschiedete deswegen mit führenden Genossinnen zusammen, was politisch daraus folgte. Die erste Folgerung war: Jede Genossin ist verpflichtet, der sozialdemokratischen Parteiorganisation beizutreten. Immerhin gab es einen Rabatt, es wurde empfohlen, den Beitrag niedriger als bei den Genossen anzusetzen (es gab damals keine nach Einkommen gestaffelten Beiträge). In Berlin bedeutete das 10 Pfennig Beitrag statt der üblichen 30. Außerdem waren politische Sonderorganisationen der Frauen aus Sicht des Vorstandes nicht mehr gestattet, über das Fortbestehen von Bildungsvereinen für Frauen sollten die Genossinnen (und Genossen) vor Ort entscheiden. Die SPD als Partei sollte die bisherigen parallelen Strukturen aufsaugen. Entsprechend wurde das Vertrauenspersonensystem überführt in eines mit hauptamtlichen politischen Sekretärinnen für Frauenfragen.

Im Ausgleich zu dieser Integration in die Strukturen der Partei wurden Sonderstrukturen für Frauen festgeschrieben. Neben den üblichen Zahlabenden für beide Geschlechter musste eine monatliche Versammlung für Frauen angeboten werden. Diese waren zu theoretischen und praktischen Schulung gedacht. Außerdem wurde – sehr fortschrittlich - eine Quote für Vorstände eingeführt: „Die weiblichen Mitglieder sind im Verhältnis zu ihrer Zahl im Vorstand vertreten. Doch muss diesem mindestens eine Genossin angehören.“

Der Erfolg dieser Integration mit eigenen Strukturen in der SPD spiegelt die Mitgliederentwicklung wieder. So gehörten 1909 in Groß-Berlin noch 9.382 Genossinnen der Partei an, fünf Jahre später waren es mehr als doppelt so viele mit 22.580. Ziemlich kraftvoll zeigte sich das gewachsene Gewicht der Genossinnen bei den Demonstrationen zum Frauentag ab 1911. Alleine in Berlin kamen zum ersten Frauentag 45.000 Frauen und Männer auf 42 Kundgebungen zusammen, um unter anderem für das Frauenwahlrecht zu demonstrieren.

Der Fall des Kreidestrichs wirkt im Rückblick wie ein kleiner Schritt. „Aber 1908 war der Beginn der staatsbürgerlichen Gleichberechtigung der Frau, weil zum ersten Mal diese Trennung aufgehoben wurde, die besagt, nur der Mann kann oder soll sich mit politischen Themen beschäftigen. Das ist 1908 tatsächlich aufgehoben worden. Und damit ist anerkannt worden, dass die Frau ein politisches Wesen wie der Mann ist, die genauso wie er mitbestimmen möchte, was in dieser Gesellschaft passiert.“ erläutert die Historikerin Kerstin Wolff die Bedeutung dieser Entscheidung.

Auf das Wahlrecht mussten die Frauen (und Männer) dann aber nochmal acht Jahre warten und dieser Schritt war im politischen System des Kaiserreiches nicht gangbar. Erst als das morsche System der Monarchie zusammenbrach und in Deutschland eine demokratische Republik errichtet wurde, konnte verwirklicht werden, was heute selbstverständlich ist. Frauen können sich nicht nur politisch engagieren, sondern auch wählen und gewählt werden als Kanzlerin, Senatorin, Stadträtin.

 

 

 

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